Europa im Krisenmodus

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Seit elf Jahren befindet sich die Europäische Union nun schon im Krisenmodus. Mit der internationalen Finanzkrise 2008 / 2009 begann die Serie. Die internationale Bankenkrise legte gleichsam die prekäre Schuldensituation mehrerer vor allem südeuropäischer Mitgliedsländer der Eurozone offen. Griechenland, Italien, Spanien und andere Mittelmeeranrainer hatten die schmerzhafte Konsolidierung ihrer Staatsfinanzen noch kaum abgeschlossen, da sah sich die Staatengemeinschaft einer Herausforderung ganz anderer Art gegenüber. Der Zustrom von Millionen Schutzsuchender auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Gewalt und Armut stellte ab 2015 die Solidarität zwischen den Mitgliedsländern erneut auf eine harte Probe. Inzwischen ist die Zahl neu ankommender Flüchtlinge zwar zurückgegangen, aber in Griechenland und Italien müssen Geflüchtete immer noch in überfüllten Lagern unter teilweise prekären Bedingungen ausharren, weil ihre Verteilung innerhalb der EU nicht gelingt. Mit der Corona-Krise nun kündigt sich die bisher größte Herausforderung für die EU seit ihrem Bestehen an. Der erwartete wirtschaftliche Schaden übersteigt bei Weitem die internationale Finanzkrise und erneut tut sich eine tiefe Kluft zwischen den Mitgliedsländern auf. Die wachstumsstarken Länder im Norden der Union verfügen über ausreichende fiskalische Puffer, um den wirtschaftlichen Einbruch und die Massenarbeitslosigkeit abzudämpfen. Die ohnehin strukturschwächeren südeuropäischen Länder hingegen sind noch ausgezehrt von der Sparpolitik, die ihnen die Gläubiger seit 2009 auferlegt hatten. Sie können kaum auf eigene finanzielle Ressourcen zurückgreifen und leiden bereits unter einer hohen Schuldenlast.

Weder die Finanz-, noch die Flüchtlings- oder Coronakrise sind hausgemacht, es handelt sich um globale Erschütterungen, die die EU an den Rand ihrer Möglichkeiten bringen. Aus Sicht mancher Europaskeptiker werden hierbei die Konstruktionsfehler der EU bzw. der Eurozone sichtbar. So sei die einheitliche Währung eingeführt worden, ohne sich vorab auf die Mechanismen einer gemeinsamen Fiskalpolitik zu einigen. Spätestens in der Finanzkrise habe sich das Versäumnis gezeigt, so wird argumentiert. Deutlich wurde dies in der Forderung der überschuldeten Südländer nach gemeinschaftlich abgesicherten Anleihen (Eurobonds). Während diese sich auf die europäische Solidarität beriefen, weigerten sich die wohlhabenden Staaten im Norden, allen voran Deutschland, schlichtweg dafür die Haftung zu übernehmen. Diese Diskussion schwelt schon seit Jahren, mit der Corona-Krise erscheint sie nun in neuem Gewand (Coronabonds). Konstruktionsfehler des europäischen Projekts, so könnten Europaskeptiker weiter anführen, hätten sich auch in der Flüchtlingskrise gezeigt. Unter dem Zustrom von Millionen Geflüchteten sei nicht nur die Dublin Verordnung, sondern auch das Schengen-Regime zeitweise zusammengebrochen, weigern sich doch vor allem osteuropäische Länder Schutzsuchende aus dem überlasteten Südeuropa aufzunehmen, ganz zu schweigen von der Schließung der Balkanroute.

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Die Kritik hat sicherlich ihre Berechtigung. Aber kann denn das, was später einmal in den Geschichtsbüchern stehen wird, vorab am Reißbrett entworfen werden? Ist es möglich, alle Eventualitäten im Voraus ins Kalkül einzubeziehen? Wäre die deutsche Einheit zustande gekommen, wenn Helmut Kohl an einem perfekten Plan gearbeitet und darüber das Momentum im Jahre 1989 verpasst hätte? Wäre der Euro jemals eingeführt worden, wenn vorab das ambitiöse Projekt einer einheitlichen Fiskalpolitik verfolgt worden wäre? Wohl kaum! Im Übrigen sei angemerkt, dass in der Schuldenkrise Eurobonds zwar nicht zustande kamen, dafür aber der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) geschaffen wurde, der den in Not geratenen Ländern der Eurozone unter die Arme greift, allerdings bei getrennter Haftung. Die Erfahrungen der EU mit der Finanzkrise helfen ihr nun in der Corona-Krise. Das Anfang April 2020 beschlossene Corona-Paket in einem Volumen von 500 Mrd. Euro besteht aus Krediten des ESM, dem Europäischen Fonds für Kurzarbeitergeld SURE sowie Kreditgarantien der Europäischen Investitionsbank. Für die Zeit nach der Überwindung der Pandemie bereitet die EU einen Wiederaufbau-Fonds vor, dessen Ausgestaltung noch bevorsteht. Die solidarische Überwindung der größten Wirtschaftskrise seit Bestehen der EU wird zu einer Bewährungsprobe für die europäische Integration werden. Wenn die Gemeinschaft jetzt nicht zueinandersteht, wird China nur allzu gerne den Südeuropäern seine helfende Hand reichen und sie zu sich herüberziehen. Die Debatte über gemeinschaftlichen Anleihen ist noch lange nicht zu Ende, und wer weiß wohin sie führt? Vielleicht würden Coronabonds die Herausbildung eines Fiskalpakts beschleunigen. Manchmal ist es gar nicht verkehrt, den zweiten vor dem ersten Schritt zu tun.

Nassir Djafari, Werheim den 13. Mai 2020, Vorstand von YOUROPEAN
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