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18. Mai 2018

Vom Schrecken ins Licht

– Retrospektive auf den Luxemburger Maler und großen Europäer Edmond Goergen eröffnet am 1. Juni 2018 in Bitburg –

 

Unter der Schirmherrschaft der königlichen Hoheiten, dem Großherzogs und der Großherzogin von Luxemburg, zeigt das Haus Beda in Bitburg, im Dreiländereck zwischen Belgien, Luxemburg und Deutschland, vom 1. bis 30. Juni 2018 eine Retrospektive auf die Werke und das Leben des Luxemburger Malers Edmond Goergen (1925 – 2000).

Wer war Edmond Goergen?

Edmond Goergen war ein großartiger Mensch und Künstler, der neben den Sonnenseiten des Lebens auch die wahren Schattenseiten kennen lernen musste. Er wurde im zweiten Weltkrieg von den Nazis festgenommen und in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht, wo er trotz schrecklicher Erfahrungen den positiven Blick und seinen Optimismus für eine bessere Zukunft in unserem meist doch sehr schönen Europa nie verlor. Er drückte dies in seiner Kunst, aber auch in verschiedenen politisch-kulturellen Initiativen aus.

Wir, Cecilie Mössle und Magda Mumme, Abiturientinnen 2017 des Lessing-Gymnasiums, hatten das Vergnügen ein aufschlussreiches Interview mit Viviane Goergen, der in Frankfurt am Main lebenden jüngeren Tochter des 2000 verstorbenen Künstlers führen zu dürfen. Der Stolz der Pianistin Viviane Goergen auf ihren Vater ist unter anderem durch seine vielen Bilder, die ihre Frankfurter Wohnung schmücken, spürbar.

Und wenn es Ihnen als Leser des Interviews wie uns geht, werden Sie sich neue Gedanken zu Ihrer eigenen Einstellung gegenüber Europa machen.

Goergen_Gemälde

Abtei Prüm mit Fahnen der Europäischen Gemeinschaft (1985)

 

„Ja, Kunst schafft Frieden.“

 

Interview mit Viviane Goergen

Wir beide hatten die Ehre Viviane Georgen kennenzulernen und mehr über ihren Vater Edmond Goergen zu erfahren. Edmond Goergen war ein luxemburgischer Maler, Zeichner, Restaurator und Widerstandskämpfer. Er wurde im Dezember 1914 geboren und gab seine größte Leidenschaft für die Kunst und seine Hoffnung auf Frieden in der Welt trotz schrecklicher Erfahrungen während der NS-Zeit nicht auf. Er starb im April 2000 und hinterließ unter anderem seine wunderschönen Werke, von denen wir einige bei seiner Tochter bewundern konnten.

Wir haben uns viel mit dem Leben Ihres Vaters befasst und haben ihn als einen sehr starken, optimistischen und leidenschaftlichen Mann kennengelernt. Wie ist er Ihnen in Erinnerung geblieben?

Frau Goergen: Ja das stimmt. Er ist ein sehr starker Mann gewesen, abgesehen von seiner Körperkraft, war auch sein ganzes Wesen voller Stärke und Optimismus, der ihm geholfen hat immer weiterzumachen und nicht aufzugeben. Mein Vater war zudem sehr begeisterungsfähig und liebte die Natur, die alten Gebäude, die Kirchen. Damals in den Ferien sind wir von Kirche zu Kirche gefahren und voller Begeisterung hat er einen Stein nach dem anderen auf Unterschiede untersucht.

Uns ist bewusst, dass Edmond Goergen in einfachen sozialen Verhältnissen aufwuchs und es ihm dadurch nicht möglich war seinem größten Wunsch, Maler zu werden, nachzugehen. Durch die Umstände war er vorerst gezwungen einen technischen Beruf zu erlernen.
Uns interessiert, ob seine Eltern seine Leidenschaft zur Kunst akzeptiert haben und ob sie für die Kunst ebenfalls Begeisterung pflegten?

Frau Goergen: Ja, wie Sie richtig sagten, kam mein Vater aus bescheidenem Haus, in dem dennoch sehr viel Sinn für Schönheit und Kunst existierte. Wenn es meinem Großvater möglich gewesen wäre, wäre er Schauspieler geworden. Er war sehr begabt und ist als Laie des Öfteren in kleinen Theatern aufgetreten.

Beide Elternteile meines Vaters brachten großes Verständnis und Bewunderung für die Leidenschaft und des Talent meines Vaters auf.

Ich komme aus Luxembourg und dort haben wir eine andere Einstellung zur Kunst und es fällt mir immer wieder hier auf, dass, wenn hier jemand Kunst macht, dies von den Eltern oft nicht unterstützt und unterdrückt wird. Das ist in Luxembourg nicht der Fall. Man hat dort einen gewissen Respekt und Achtung vor Künstlern und man unterstützt sie auch von privater Seite sehr stark. In Frankreich, wo ich auch lange gelebt habe, ist dies genauso.
Ich hatte hier in Deutschland schon mit vielen Künstlern zu tun, wo die Eltern meinten, dass ein Beruf im künstlerischen Bereich ihnen nicht viel im Leben bringen wird, es würde sich um brotlose Kunst handeln. Das ist ein Denken, was hier stark verhaftet ist und ich finde es schade, weil es sich bloß um einen Gedanken handelt, der so vieles blockiert…

Frau Goergen, Sie sind nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, aber Ihr Vater hat diese Zeit als junger Mann miterlebt. Er war erst 28 Jahre jung, als er anfing als Widerstandskämpfer Menschen der Flucht aus Deutschland zu verhelfen, was uns sehr beeindruckt. Sind Sie stolz auf Ihren Vater oder betrachten Sie dies eher als leichtsinnig, immerhin konnte dieses Verhalten einem damals das Leben kosten.

Frau Goergen: Sein Handeln war äußerst gefährlich für ihn. Aber sie müssen sich vorstellen, dass Luxembourg ein kleines Land war, in das die Truppen sofort einmarschiert sind und die jungen Luxemburger rekrutiert wurden, um dann bei der Wehrmacht auf das eigene Volk zu schießen. Viele junge Luxemburger  haben sich damals ein Bein abschneiden lassen, damit sie unfähig waren in den Dienst zu gehen. Ich denke, dass mein Vater das Volk retten und schützen wollte. Er hat Menschen zusammengetrommelt und als er gemerkt hat, dass Luxembourg zu klein ist, hat er sich mit Frankreich zusammengetan. Mein Vater hat alleine 150 Luxemburgern geholfen über die Grenze nach Frankreich zu flüchten, wo sie dann von Franzosen bis nach England gebracht worden sind. Mein Vater sowie seine Anhänger waren alle sehr jung und hatten das Bedürfnis zu helfen. Sie hatten nicht mit den schweren Konsequenzen gerechnet, sondern instinktiv gehandelt. Mir ist bewusst, dass mein Vater in der Zeit sehr viel riskiert hat. Meine Mutter und meine Schwester waren auf einem Bauernhof jedoch gut aufgehoben, was damals immer ein sehr sicherer Ort gewesen ist. Ich bin sehr stolz auf meinen Vater und ich denke es ist richtig zu sagen, dass er ein außergewöhnlicher Mann war.

Nachdem Ihr Vater von der Gestapo verraten worden war, wurde er in das Konzentrationslager Mauthausen transportiert. Seine Leidenschaft für die Kunst hat er dort trotz der schrecklichen Verhältnisse weiter verfolgen können. Wie war das möglich, wenn den Häftlingen außer Essen und Kleidung nichts gegeben wurde? Wissen Sie, wie er sich das Material zum Zeichnen beschafft hat?

Frau Goergen: Mein Vater hatte einen luxemburgischen Freund, der ebenfalls  dort inhaftiert war. Er war ein sehr gescheiter Mann, der nach seiner Befreiung sogar Minister, Außenminister und Parlamentspräsident wurde. Er sprach 25 Sprachen. Auf seine Intelligenz ist man im Konzentrationslager schnell aufmerksam geworden, woraufhin er ins Büro versetzt wurde, wo er für die Nazis arbeiten musste. Dadurch hatte er gewisse Vorteile, wie zum Beispiel den Zugriff auf Papier und Bleistifte, die er meinem Vater heimlich weitergab. Als die Amerikaner das Lager befreiten, gelang es meinem Vater eine Reihe von Zeichnungen mitzunehmen, welche heutzutage in verschiedenen Museen ausgestellt sind.

War Kunst in dieser schrecklichen Zeit, die Ihr Vater erfahren hat, eine Art Überlebensmittel oder Kraftspender für ihn?

Frau Goergen: Ja, es ist sehr wichtig, dass man lernt einen Weg zu finden mit erlebten, schlimmen Ereignissen umzugehen. Bei meinem Vater war es das Zeichnen. Er konnte schlimme Schicksale, die er gesehen hat, durch Kunst einfangen und verarbeiten.

Nachdem er befreit worden war, behielt ihr Vater trotz schrecklicher Vergangenheit seinen optimistischen Blick auf die Welt bei. Er setzte sich zum Ziel Deutschland und die Nachbarstaaten wieder zusammenzubringen. Was hat Ihren Vater so dazu gedrängt?

Frau Goergen: Während seiner Gefangenschaft gehörte er einer politischen Gruppierung Gefangener aus der Tschechoslowakei an. Es waren sehr gescheite Leute mit denen er abends gute Gespräche führen konnte. Man einigte sich darauf, dass man im Falle einer Befreiung alles dafür tun müsse, den Völkerhass zu überwinden, damit so etwas nie mehr vorkommen muss. Jeder schwor sich einsetzten, die Menschen zusammenzubringen, was mein Vater dann in seinem Gebiet auch stetig versuchte. Sobald sich eine Möglichkeit ergab, versuchte er Maler aus Belgien, Frankreich und Deutschland dafür zu gewinnen sich bei Ausstellungen in den jeweiligen Ländern zu beteiligen. Das hat er bis zum Schluss weitergeführt. Kunst ist wie eine gemeinsame Sprache, die verbindet. Für Deutschland ist die Stadt Prüm für diese Ausstellungen verantwortlich gewesen.

Glauben Sie, dass man heute noch mit Kunst Frieden schaffen kann?

Frau Goergen: Mit jeglicher Art von Kunst, dazu zähle ich auch meine große Leidenschaft für die Musik, kann man Frieden schaffen. Durch die Kunst vereint man die Menschen. Die Musik hat zum Beispiel die Fähigkeit Menschen wieder zur vollkommenen Harmonie zu bringen und das funktioniert auf der ganzen Welt.

Manche machen sich die Kraft der Töne, andere der Farben und wiederum anderer der Worte zu Eigen. Kunst erweckt Gefühle und Gefühle sind bei den Menschen auf der ganzen Welt gleich. Die Probleme entstehen durch das Denken, durch das rein Rationale. Sobald Gefühle, das Herz und die Seele eine Rolle spielen, ist Friede da.

Mein Vater begegnete einst einem Mann, der, sobald es dunkel wurde, schizophren war und in seinem Wahn nächst beliebige Personen anfing zu würgen. Als mein Vater eines Nachts aufwachte und merkte, dass dieser Mann sich auf seinen Zimmergenossen gestürzt hatte und diesen würgt, kam ihm die plötzliche Idee ein Lied über Mütter zu singen. Kaum begonnen, ließ der Mann von dem anderen ab und verließ das Zimmer mit Tränen überströmtem Gesicht.

 

Persönliche Fragen

Wie war Ihr Vater privat? Hat er viel aus seiner Vergangenheit erzählt?

Frau Goergen: Bei uns wurde viel über die Zeit im Krieg gesprochen. Damals gab es keine Psychologen, die den Menschen beim Verarbeiten helfen konnten. Jeder musste also zurück in sein altes Leben kehren und mit der Vergangenheit alleine zurechtkommen. Viele Menschen suchten meinen Vater in seinem Atelier auf, um über seine Zeit im Konzentrationslager zu sprechen. Auch davon erzählte er uns, jedoch nie, was er in der Zeit empfunden hat. Trotz der schrecklichen Vergangenheit meines Vaters, hat er stets versucht das Schöne im Leben zu sehen und dies hat er mit schöner Natur in seinen Bildern zum Ausdruck gebracht. Mein Vater hat sein “zweites Leben” sehr zu schätzen gewusst. Er hatte sehr viele Freunde, war sehr beliebt. Da er die Erfahrung gemacht hat, dass das Leben auf einen Schlag vorbei sein kann, versuchte er so viel wie möglich zu unternehmen.

Hat ihr Vater auch ab und zu mit Ihnen gemalt und seine Gabe geteilt?

Frau Goergen: Ja! Allerdings ist mein erstes Kunstwerk eine Katastrophe geworden. Mein Vater hat mich gemalt als ich drei Jahre alt war. Ich musste also da sitzen und zuschauen, wie er mit dem Pinsel arbeitete, was für mich sehr interessant aussah. Plötzlich klingelte das Telefon, es war wohl ein dringender Anruf, also ging er weg und hatte mich zusammen mit der Staffelei vergessen. Ich wartete eine Weile, bis ich mich auf seinen Stuhl setzte und selbst den Pinsel in die Hand nahm. Die Katastrophe, die ich auf die Leinwand brachte, versteckte ich mit schlechtem Gewissen hinter anderen Bildern. Abends wollte mein Vater unserem Besucht das Werk stolz präsentieren. Anfangs nahm er es mir, nachdem er das Bild endlich gefunden hatte, sehr übel bis er allmählich verstand, dass ich es aus Begeisterung an der Kunst getan hatte. Wir malten noch oft zusammen und auch sein Talent scheint mir wohl in die Wiege gelegt worden zu sein. Allerdings reichte es mir, meinen Vater als Vater zu haben und nicht als Lehrer.

Haben sie ein Lieblingsbild von Ihrem Vater?

Frau Goergen: Mein Lieblingsbild im Moment ist das vom Baum. Es ist ein sehr starkes Bild, wobei er hier eine etwas kältere und ernstere Atmosphäre aufs Papier gebracht hat. Trotz seiner positiven Einstellung, konnte er seine Vergangenheit jedoch nicht ganz ausblenden. Dieser Baum versprüht eine enorme Energie, die mein Vater ebenfalls besaß.

Finden sie Ihren Vater oft auch in sich selbst wieder?

Frau Goergen: In gewissen Dingen ähneln wir uns sehr. Wir hatten ein gutes Verhältnis zueinander und die Kunst sowie die geistige Ebene haben uns sehr verbunden. Sein politisches Engagement begeisterte mich immer sehr, weshalb ich ihm gerne zuhörte. Er konnte die Politik von einer Vogelperspektive einschätzen, wie es nur wenige konnten und lag mit seinen Aussagen auch meist sehr richtig. Die Gabe, sehr schnell einen Überblick zu gewinnen, habe ich von ihm.
Mein Vater hatte ein sehr gutes Menschenbild und sah auch bei schwierigeren Menschen das Gute. Auch die äußerlichen Ähnlichkeiten konnten wir nicht leugnen.

Das wars auch schon Frau Goergen. Vielen vielen Dank, dass wir da sein durften und Sie uns so offen auf unsere Fragen geantwortet haben.

Brücken

Brücke Karl des IV. in Prag, Tschechien (1981)

 

In der Nachkriegszeit war Goergen 1957 maßgeblich an der Gründung der  „Europäischen Vereinigung Bildender Künstler aus Eifel und Ardennen“ beteiligt, einer Vereinigung von Künstlern aus Belgien, Frankreich, Luxembourg und Deutschland, welche regelmäßig Ausstellungen mit Repräsentanten der vier Länder organisierten.

1968 wurde ein Kulturabkommen zwischen Luxembourg und der Tschechoslowakei  verabschiedet, nachdem Goergen mit Peter Planer, dem späteren Kulturminister in Prag, im Konzentrationslager Mauthausen inhaftiert gewesen war. Ebenfalls 1968 war Goergen zusammen mit Pierre Grégoire Mitbegründer des Europäischen Komitees zur wissenschaftlichen Untersuchung der Entstehung und der Folgen des Zweiten Weltkriegs. Ehrenpräsidenten des Komitees waren Willy Brandt, Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Pierre Grégoire, Außenminister des Großherzogtums Luxembourg, und André Malraux, Staatsminister für Kultur der Republik Frankreich. Bereits 1985 war Goergen Mitgründer der Deutsch-Luxemburgischen Begegnung mit Sitz in Trier; dadurch kam es zu vielen echten Freundschaften zwischen Luxembourg und Deutschland und darüber hinaus entstand ein reger kultureller Austausch zwischen den beiden Ländern inklusive großer Retrospektiven der Werke Goergens.

Bemerkenswert ist es, dass Edmond Goergen trotz seiner Erfahrungen im KZ nach so kurzer Zeit wieder bewusst Kontakt zu Deutschland suchte.

Wir beschließen unsere Hommage mit einem Zitat Edmond Goergens, das seinen Wunsch nach europäischer Vielfalt im Zusammenhang mit der europäischen Einigung kurz und klar dokumentiert.

„Dabei dürfen wir doch weder unsere Eigenart noch den Ausblick auf die internationale Völkergemeinschaft außer Acht lassen.“

Portait

Cecilie Mössle, Viviane Goergen und Magda Mumme

Im Mai 2018

Cecilie Mössle & Magda Mumme, Abiturientinnen 2017 des Lessing-Gymnasiums in Frankfurt am Main

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