Europa muss sich neu positionieren – Mit dem Fall der Sowjetunion war dem Westen der gemeinsame Feind abhanden gekommen, mit der Amtsübernahme Trumps und dem Erstarken des Nationalismus droht nun auch die westliche Wertegemeinschaft zu zerfallen.
Es bleibt weiterhin unklar, wie die neue US-Regierung unter Präsident Trump zu den multilateralen und supranationalen Institutionen steht. In den ersten Wochen seiner Amtszeit erklärte Trump NATO und EU für obsolet. Dann, nachdem seine Minister die verunsicherten Europäer zu beruhigen versuchten, verkündete Trump das Gegenteil. Welchen genauen Kurs Trump einschlagen wird, bleibt abzuwarten. So oder so aber können wir davon ausgehen, dass der Stellenwert bestehender internationaler Bündnisstrukturen für die USA abnehmen wird. Dazu passt die Abschottung gegenüber Einwanderern ebenso wie der Protektionismus.
Der Westen als Bollwerk gegen den Kommunismus
Die multilateralen Institutionen, wie UN, Weltbank, IWF ebenso wie das westliche Bündnissystem der NATO waren nach dem 2. Weltkrieg maßgeblich von den USA ins Leben gerufen worden, um den Machtbereich der Sowjetunion und die Verbreitung des Kommunismus einzudämmen. Die Entstehung und Konsolidierung der Europäischen Union wurde von den USA beherzt unterstützt, stellte es doch den Gegenentwurf zum sowjetisch dominierten östlichen Wirtschaftsblock der COMECON dar. Der Westen berief sich in scharfer Abgrenzung zum Kommunismus auf Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechte, auch wenn er an den Rändern der Welt genau diese Werte mit den Füßen trat.
Von der bipolaren zur unipolaren Weltordnung
Mit dem Zusammenbruch des Sowjetsystems verlor der Westen seinen gemeinsamen Feind. Aus der bipolaren Weltordnung wurde eine unipolare. Die USA als verbleibende Supermacht war nicht mehr zwingend auf die Institutionen und Bündnissysteme des Kalten Kriegs angewiesen. Zunächst aber galt es das Machtvakuum, das die Sowjetunion hinterlassen hatte, zu füllen: die NATO und die EU expandierten nach Osteuropa. Für Europa bedeutete dies nach der Integration der südeuropäischen Länder in den 1980er Jahren, eine zweite Welle der Aufnahme von Mitgliedsländern, die wirtschaftlich und politisch-institutionell noch weit von den Standards Kerneuropas entfernt waren. Das Ergebnis war die Entstehung eines riesigen Binnenmarktes, des größten Wirtschaftsraums der Welt. Mit der neuen Größe der EU war fortan aber auch ihre Schwäche verbunden: die nur noch schwer zu steuernde Überspannung der Union.
Die EU – eine wirtschaftliche Weltmacht
Die heutige Welt ist trotz des Aufstiegs Chinas und dem Muskelzeigen Russlands nach wie vor politisch und militärisch unipolar mit den USA als alles überragende Macht. Wirtschaftlich haben sich indessen tripolare Strukturen herausgebildet. Die Weltwirtschaft wird von den USA, der EU und China dominiert. Es fragt sich allerdings: was bedeutet ökonomische Macht? Gewiss, wirtschaftliche Stärke ist die Grundlage für politische Macht, aber es nur eine notwendige und keine hinreichende Voraussetzung. Anders als China verfügt die EU nicht über die erforderliche innere Kohärenz, um perspektivisch eine stärkere weltpolitische Rolle zu spielen. Ist die EU wirtschaftlich eine Weltmacht, so ist sie politisch nur eine Regionalmacht und bleibt militärisch weiterhin auf den Beistand der USA angewiesen.
Entfesselte Regionalmächte
Seit Beginn der 1990 er Jahre lassen sich mehrere Entwicklungen beobachten, die sich gegenseitig beeinflussen und zu einer neuen weltpolitischen Herausforderung verdichten: eine Reihe von Ländern haben eine nachholende wirtschaftliche Entwicklung vollzogen und sich zu Schwellenländern gemausert, wie u.a. Indien, Brasilien, Türkei und Iran. Sie verfügen nicht nur über eine diversifizierte Industrie, sondern inzwischen auch über beachtliche militärische Kapazitäten. Waren diese Länder im Kalten Krieg noch die Stellvertreter der jeweils Schutz gewährenden Supermacht, agieren sie nun als selbstbewusste Regionalmächte. Mit dem Ende der bipolaren Weltordnung müssen sie sich nicht mehr unter dem Schirm einer der beiden Supermächte retten. Zugleich halten sich die USA angesichts ihrer gescheiterten Interventionspolitik u.a. in Irak und Libyen etwas stärker zurück. Für die Regionalmächte, wie Türkei, Iran oder Saudi-Arabien eröffnen sich damit neue Handlungsspielräume, sie agieren zunehmend unabhängig von den USA. Für Europa sind sie beides: Herausforderung und mögliche Partner.
Konsequenzen für Europa
Europa ist auf die Erhaltung multilateraler Institutionen wie u.a. UN, WTO, Weltbank, IWF, G20 und G7 angewiesen, um globale Herausforderungen, wie Terrorismus, Klimawandel, Migration bewältigen zu können. Dazu müssen internationale Spielregeln gelten und weiterentwickelt werden. Eine Supermacht wie die USA mag denken, dass sie auf Regeln verzichten kann, Europa ist dazu definitiv nicht in der Lage. Die Schwellenländer sind potenzielle Bündnispartner Europas bei der Erhaltung des internationalen Regelwerks, aber auch bei der Verhandlung internationalen Konventionen, z.B. in der Klimapolitik.
Im Angesicht der Atommacht Russland im Osten des Kontinents bleibt Europa auf den militärischen Beistand der USA und der NATO-Strukturen angewiesen. Daran werden auch höhere Verteidigungsausgaben nichts ändern. Der Aufbau eigener gemeinsamer Verteidigungskapazitäten ist angesichts der aktuellen internen Krise der EU schwer vorstellbar und wäre allenfalls im Rahmen eines „Kerneuropa“ möglich.
Wirtschaftlich ist und bleibt die USA bis auf Weiteres der wichtigste Partner der EU. Gleichwohl verfügt die EU aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke im Außenhandel über den größten Spielraum, bestehende Partnerschaften in Asien, Lateinamerika und Afrika zu vertiefen und neue zu schaffen. Die Wirtschaftsmacht Europa hat ein vitales Interesse an der Erhaltung des Freihandels.
Vor allem aber, und dies ist die Voraussetzung für alles zuvor Gesagte, steht die EU vor der Herausforderung, ihre internen Strukturen zu konsolidieren und die Zersetzung der Union durch den um sich greifenden Nationalismus einzudämmen. Nur so kann sie die Handlungsfähigkeit erlangen, um sich in der neuen Weltordnung zu behaupten.
Frankfurt am Main, 22. Februar 2017
Nassir Djafari, Diplom-Volkswirt und Mitglied von YOUROPEAN
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