Hingen die Geigen der Demokratie noch vor einem Jahr hoch am europäischen Himmel, ist nun ein schwerer Sturm über uns ausgebrochen. Die rechten Gruppierungen, die seit dem Niedergang der Nazis keine Chance mehr hatten, sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Quasi aus dem Nichts ist eine ernsthafte Bedrohung für die europäische Integration entstanden, die zuvor mehr als 60 Jahre mühsam aufgebaut wurde. Diese Gefährdung findet in einer Hochphase statt, in der die Demokratie so entwickelt ist, wie noch nie zuvor.
Während die vorhandenen rechten Randgruppen in Mitteleuropa als die ewig Gestrigen und Realitätsfernen der Geschichte betrachtet wurden, taten wir die autoritäre Regierung Orban in Ungarn, nach der jahrzehntelangen Unterdrückung des Landes durch eine linke Diktatur, als frühdemokratisches, pubertäres System ab. Doch: Was wir alle ignorierten, aber längst da war, ist die Tatsache, dass viele Themen, Ängste, die gerne den rechten Kräften zugeordnet wurden, mittlerweile auch gemäßigte, konservative Kräfte umtreibt.
Die Parteien, vor allem die Volksparteien, haben sich zu sehr auf die bürgerliche Mitte konzentriert und haben alles, was rechts und links davon war, nicht mehr bedient, gar stigmatisiert. Im Kampf um die Mitte sind die Sorgen der Bürger „Außen“ nicht genügend beachtet worden. Viele fühlen sie durch eine solche Politik nicht mehr vertreten. Europäische Politiker, die diesen Weg gehen, und Medien, die über diese Politik berichten, sind erfahrene Demokraten. Dadurch, dass sie rechte wie linke Tendenzen als undemokratisch ablehnen, drängen sie dieses Klientel, das im Zuge der sich immer härter werdenden wirtschaftlichen Umverteilung und Zuspitzung gar Existenzängste hat, regelrecht in extreme Ecken – rechts wie links. Die Hälfte der griechischen Bevölkerung hat im Moment keine Zukunft, die Hälfte der spanischen Jugendlichen ist arbeitslos. Circa 17 Millionen Bürger in Deutschland sind von Armut bedroht. Das sind knapp 20 Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen wollen eine Zukunft und müssen vom Staat klar und eindeutig aus ihren jeweiligen Ecken abgeholt werden. Sie brauchen Perspektiven.
Das Desaster in Köln war nur deshalb ein Desaster, weil es schlagartig und unvorhergesehen die Ängste und die Wahrnehmung der Vernachlässigten, aber auch des bürgerlichen Lagers, bestätigt hat: Fremde, dunkelhäutige Vergewaltiger und sonstige Kriminelle bedrohen unsere deutschen Frauen und werden durch einen vermeintlich verlogenen, liberalen Rechtsstaat noch gestützt. Ein Aufschrei ging durch die gesamte Gesellschaft Europas. Die Wahrheit wurde im ersten Moment von Medien und Politik verschämt verschwiegen und die „Außen“, von denen viele auch Empfänger von staatlichen Stützmaßnahmen sind, sahen sich in Konkurrenz zu den Fremden.
Eine Welle erfasste auch die liberalen Hochburgen der europäischen Staaten. Sehr rechte Gruppierungen sind auf einem gewaltigen Vormarsch in ganz Nord- und Mitteleuropa: in Schweden, dem Hort der Liberalität, gewinnen Rechtspopulisten an Boden, in Finnland regieren die Konservativen mit den Rechten. Die Dänen versuchen die Ungarn rechts zu überholen. In London pöbelt ein konservativer, außerordentlich populärer Bürgermeister wider besseres Wissen gegen Europa und liefert seine Stadt wissentlich erheblichen Wettbewerbsnachteilen aus: Beim Brexit läuft London Gefahr, an seiner weltweiten Finanzbedeutung zu verlieren.
Einzig Südeuropa ist bisher der ultrarechten Stimmungsmache entkommen. Durch die ebenfalls populistischen linken Bewegungen, die in Spanien und Griechenland ihre überaus skurrilen Blüten treiben. Hier wird im Grunde das gleiche Klientel mit den gleichen Ängsten durch ebenfalls extreme Kräfte bedient.
Um Europa wieder auf demokratischen Kurs zu bekommen, müssen sich die Volksparteien ihrer Wurzeln erinnern und als demokratische Parteien ihre Wähler in ihrer ganzen Breite wieder glaubwürdig vertreten und auf sie zugehen. Das darf nicht heißen, dass den fremdenfeindlichen Forderungen nachgegeben wird, sondern, dass man die Menschen aus ihren Ängsten und Sorgen abholen und in die Politik integrieren muss. Die Argumente für unsere Politik in Europa sind schließlich sehr gut: Wir sind reich wie noch nie. Wir sind aber dabei, ein sterbender Kontinent zu werden. Die heutigen Flüchtlinge sind die Rentenzahler von Morgen. Lasst uns doch mit den Geldern, die wir haben, Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Lasst uns das durchaus mit einer härteren Gangart machen: Die Flüchtlinge, die sich nicht auf unsere europäische Wertegemeinschaft einlassen wollen, müssen wieder gehen. Und wir haben in ganz Europa viel Erfahrung mit Einwanderern.
Für die politischen Parteien gibt es viel tu tun. Fragen, Ängste und Sorgen der Menschen liegen auf der Straße. Lasst uns die „bedrohliche“ Zukunft, die Quelle unserer Sorgen ist, formulieren und diskutieren, lasst uns in einem offenen, transparenten Austausch miteinander – durchaus auch heftig – diskutieren. Das ist sicher nicht der „Stein der Weisen“, doch ein Anfang, um demokratische Politik in Europa wieder glaubwürdiger zu machen.
Frankfurt am Main, 25. Februar 2016
Bodo Bimboese, Kommunikationsberater und Mitbegründer von YOUROPEAN
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