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Februar 2016

Warum die Glaubwürdigkeit von demokratischen politischen Parteien in Europa so wichtig ist

Hingen die Geigen der Demokratie noch vor einem Jahr hoch am europäischen Himmel, ist nun ein schwerer Sturm über uns ausgebrochen. Die rechten Gruppierungen, die seit dem Niedergang der Nazis keine Chance mehr hatten, sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Quasi aus dem Nichts ist eine ernsthafte Bedrohung für die europäische Integration entstanden, die zuvor mehr als 60 Jahre mühsam aufgebaut wurde. Diese Gefährdung findet in einer Hochphase statt, in der die Demokratie so entwickelt ist, wie noch nie zuvor.

Während die vorhandenen rechten Randgruppen in Mitteleuropa als die ewig Gestrigen und Realitätsfernen der Geschichte betrachtet wurden, taten wir die autoritäre Regierung Orban in Ungarn, nach der jahrzehntelangen Unterdrückung des Landes durch eine linke Diktatur, als frühdemokratisches, pubertäres System ab. Doch: Was wir alle ignorierten, aber längst da war, ist die Tatsache, dass viele Themen, Ängste, die gerne den rechten Kräften zugeordnet wurden, mittlerweile auch gemäßigte, konservative Kräfte umtreibt.

Die Parteien, vor allem die Volksparteien, haben sich zu sehr auf die bürgerliche Mitte konzentriert und haben alles, was rechts und links davon war, nicht mehr bedient, gar stigmatisiert. Im Kampf um die Mitte sind die Sorgen der Bürger „Außen“ nicht genügend beachtet worden. Viele fühlen sie durch eine solche Politik nicht mehr vertreten. Europäische Politiker, die diesen Weg gehen, und Medien, die über diese Politik berichten, sind erfahrene Demokraten. Dadurch, dass sie rechte wie linke Tendenzen als undemokratisch ablehnen, drängen sie dieses Klientel, das im Zuge der sich immer härter werdenden wirtschaftlichen Umverteilung und Zuspitzung gar Existenzängste hat, regelrecht in extreme Ecken – rechts wie links. Die Hälfte der griechischen Bevölkerung hat im Moment keine Zukunft, die Hälfte der spanischen Jugendlichen ist arbeitslos.  Circa 17 Millionen Bürger in Deutschland sind von Armut bedroht. Das sind knapp 20 Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen wollen eine Zukunft und müssen vom Staat klar und eindeutig aus ihren jeweiligen Ecken abgeholt werden. Sie brauchen Perspektiven.

Das Desaster in Köln war nur deshalb ein Desaster, weil es schlagartig und unvorhergesehen die Ängste und die Wahrnehmung der Vernachlässigten, aber auch des bürgerlichen Lagers, bestätigt hat: Fremde, dunkelhäutige Vergewaltiger und sonstige Kriminelle bedrohen unsere deutschen Frauen und werden durch einen vermeintlich verlogenen, liberalen Rechtsstaat noch gestützt. Ein Aufschrei ging durch die gesamte Gesellschaft Europas. Die Wahrheit wurde im ersten Moment von Medien und Politik verschämt verschwiegen und die „Außen“, von denen viele auch Empfänger von staatlichen Stützmaßnahmen sind, sahen sich in Konkurrenz zu den Fremden.

Eine Welle erfasste auch die liberalen Hochburgen der europäischen Staaten. Sehr rechte Gruppierungen sind auf einem gewaltigen Vormarsch in ganz Nord- und Mitteleuropa: in Schweden, dem Hort der Liberalität, gewinnen Rechtspopulisten an Boden, in Finnland regieren die Konservativen mit den Rechten. Die Dänen versuchen die Ungarn rechts zu überholen. In London pöbelt ein konservativer, außerordentlich populärer Bürgermeister wider besseres Wissen gegen Europa und liefert seine Stadt wissentlich erheblichen Wettbewerbsnachteilen aus: Beim Brexit läuft London Gefahr, an seiner weltweiten Finanzbedeutung zu verlieren.

Einzig Südeuropa ist bisher der ultrarechten Stimmungsmache entkommen. Durch die ebenfalls populistischen linken Bewegungen, die in Spanien und Griechenland ihre überaus skurrilen Blüten treiben. Hier wird im Grunde das gleiche Klientel mit den gleichen Ängsten durch ebenfalls extreme Kräfte bedient.

Um Europa wieder auf demokratischen Kurs zu bekommen, müssen sich die Volksparteien ihrer Wurzeln erinnern und als demokratische Parteien ihre Wähler in ihrer ganzen Breite wieder glaubwürdig vertreten und auf sie zugehen. Das darf nicht heißen, dass den fremdenfeindlichen Forderungen nachgegeben wird, sondern, dass man die Menschen aus ihren Ängsten und Sorgen abholen und in die Politik integrieren muss. Die Argumente für unsere Politik in Europa sind schließlich sehr gut: Wir sind reich wie noch nie. Wir sind aber dabei, ein sterbender Kontinent zu werden. Die heutigen Flüchtlinge sind die Rentenzahler von Morgen. Lasst uns doch mit den Geldern, die wir haben, Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Lasst uns das durchaus mit einer härteren Gangart machen: Die Flüchtlinge, die sich nicht auf unsere europäische Wertegemeinschaft einlassen wollen, müssen wieder gehen. Und wir haben in ganz Europa viel Erfahrung mit Einwanderern.

Für die politischen Parteien gibt es viel tu tun. Fragen, Ängste und Sorgen der Menschen liegen auf der Straße. Lasst  uns die „bedrohliche“ Zukunft, die Quelle unserer Sorgen ist, formulieren und diskutieren, lasst uns in einem offenen, transparenten Austausch miteinander – durchaus auch heftig – diskutieren. Das ist sicher nicht der „Stein der Weisen“, doch ein Anfang, um demokratische Politik in Europa wieder glaubwürdiger zu machen.

Frankfurt am Main, 25. Februar 2016

Bodo Bimboese, Kommunikationsberater und Mitbegründer von YOUROPEAN

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Die doppelte Integration Europas

„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen“. Diese Worte fand der damalige französische Außenministers Robert Schumann am 9. Mai 1950 zu Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte, um die uns die Welt beneidet. Die Europäische Union wurde zum Modell für regionale Integration schlechthin. Staaten aus Lateinamerika, Asien und Afrika schauten voller Bewunderung auf dieses zusammenwachsende Europa und versuchten zu lernen. Es ist vermutlich eine Ironie der Geschichte, dass die „Solidarität der Tat“ jetzt, 66 Jahre nach Schumanns Rede, ausgerechtet in einer anderen Frage der Integration ins Schwanken gerät und Mitgliedsländer der Europäischen Union sich lieber auf sich selbst verlassen, anstatt weiter an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten. Der unaufhaltsame Zustrom von Flüchtlingen und die Herausforderungen ihrer Integration stellen die bisher größte Belastungsprobe für die Europäische Union dar und werden von Rechtspopulisten genutzt, um das Rad der Geschichte zurückzudrehen.

Der Hebel, an den Leute, wie Victor Orban, Marine Le Pen oder die deutsche AFD ansetzen, ist die Angst großer Teile der Bevölkerung vor Überfremdung und Wohlstandsverlust. Dort, wo rechte Nationalisten schon Wahlen gewonnen haben und nun die politische Macht ausüben, entstehen Grenzzäune wie in Ungarn oder es wird muslimischen Flüchtlingen jeglicher Schutz verwehrt, so wie in der Slowakei. Nicht nur internationale Vereinbarungen, wie etwa die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch europäische Übereinkommen, wie sie u.a. im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem festgelegt sind, werden ignoriert. Und das ist erst der Anfang. Der Beinahe-Sieg der Front Nationale bei den französischen Regionalwahlen hat es gezeigt: Auch in den Kernländern der EU können sich die demokratischen Parteien nicht sicher fühlen. Aus Furcht vor künftigen Wahlverlusten verschärfen sie das Asylrecht, wobei jedes Land für sich agiert, anstatt sich mit den europäischen Partnern abzustimmen.

Wenn der ungarische Ministerpräsident Victor Orban in der Zuwanderung von Muslimen eine Gefahr für die christliche Zivilisation sieht, so suggeriert er, dass in der heutigen globalisierten Welt, im Europa des 21. Jahrhunderts, ethnisch und religiös homogene Bevölkerungsstrukturen aufrecht erhalten werden können – das Gegenteil ist der Fall. Angesichts der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen den Kontinenten, der fortgeschrittenen Informationstechnologie und Logistik, die sich in den kommenden Jahrzehnten beschleunigen werden, kann sich kein Land der Welt völlig abschotten. Aber genau das wäre notwendig, um den Status quo zu erhalten. Zum anderen kann die Abriegelung Europas gegenüber den Flüchtlingsströmen allenfalls kurzfristig gelingen. Denn wir müssen leider damit rechnen, dass Kriege und Staatszerfall in Syrien, Irak, Afghanistan und Libyen sowie in Teilen Westafrikas so rasch nicht beendet werden können und uns zumindest weit in die Zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein beschäftigen werden. Abschottung kann also auf Dauer keine Lösung sein, wenn es nebenan brennt.

Angesichts des Ansturms von Flüchtlingen vertrauen immer mehr EU-Mitgliedsländer ihren nationalen Mechanismen, anstatt weiter an europäischen Lösungen zu arbeiten. So werden nach und nach wieder nationale Grenzkontrollen eingeführt und das Schengen-Abkommen unterminiert. Die nationalen Asylsysteme werden verschärft, was dazu führen soll, dass Flüchtlinge einen möglichst großen Bogen um das jeweilige EU-Land machen. Wie es im Nachbarland bei den anderen europäischen Partnern aussieht, wird ignoriert, zu groß ist die Furcht vor einer kommenden verlorenen Wahl. So entsteht leicht aus dem Nebeneinander ein Gegeneinander. Am Ende werden dabei alle verlieren.

Die Lösung für Europa kann nur in Europa liegen, denn andernfalls werden die europäischen Kleinstaaten (wie sonst sollten wir sie angesichts der globalen Mächte USA, China und Russland nennen?) an den Rand des Weltgeschehens gedrängt. Es wäre schade, hat doch Europa der Welt so viel zu bieten. Es geht nicht um die Wahl zwischen eurokratischem Zentralismus und nationalstaatlichem Agieren. Vielleicht ist die aktuelle Krise des europäischen Gedankens auch damit zu erklären, dass zu hohe Erwartungen an sie gestellt wurden. Wie in der Euro-Schuldenkrise müssen wir auch in der Flüchtlingspolitik die Heterogenität Europas zur Kenntnis nehmen. So braucht Deutschland mit seiner dynamischen Wirtschaft mehr Zuwanderung als die süd- und osteuropäischen EU-Partner. Im Unterschied zu ihnen kann sich Deutschland ein besseres Sozialsystem leisten, was auch den hier untergekommenen Flüchtlingen zu Gute kommt. Angesichts der noch verbreiteten Armut in Osteuropa sind die Verteilungsspielräume zugunsten von Flüchtlingen dort geringer als in Mitteleuropa. Vor diesem Hintergrund können wir keinen großen Wurf erwarten, sondern müssen schrittweise vorgehen. Wir sollten auf den bereits bestehenden gemeinsamen Grundsätzen zum Umgang mit Asylanten und zur Integration von Migranten aufbauen und durch die Harmonisierung der nationalen Flüchtlings- und Asylpolitiken die von Robert Schumann beschworene Solidarität der Tat voranbringen.

Frankfurt am Main, 10. Januar 2016

Nassir Djafari, Diplom-Volkswirt und Mitglied von YOUROPEAN

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