Nachruf auf den ermordeten OB Pawel Adamowicz

Auf Bitten von Youropean hat der Danzig-Experte PD Dr. Peter Oliver Loew einen Nachruf auf den ermordeten Danziger Oberbürgermeister Pawel Adamowicz verfasst. Peter Loew ist neben seiner Arbeit als Wissenschaftler am Deutschen Polen-Institut in Darmstadt auch der Stellverteter des Direktors in wissenschaftlichen Fragen. Darüber hinaus übt er Lehraufträge an den Technischen Universitäten in Darmstadt und Dresden aus. An letzterer wurde Peter Loew im Jahr 2014 habilitiert und ist dort als Privatdozent tätig.

Zum Tod von Paweł Adamowicz
Ein Oberbürgermeister, der Hoffnung machte

Peter Oliver Loew, Deutsches Polen-Institut

Paweł Adamowicz war der Oberbürgermeister der Stadt Danzig. Er lebt nicht mehr. Er wurde ermordet, auf offener Bühne, in seiner Heimatstadt, während der größten Wohltätigkeitsveranstaltung Polens. Seine letzten Sätze lauteten: „Danzig ist großzügig und verbindet sich mit dem Guten. Danzig will eine Stadt der Solidarität sein. (…) Es ist eine wunderbare Sache, sich an die Seite des Guten zu stellen. Ihr seid wunderbar. Danzig ist die wunderbarste Stadt der Welt. Danke!“ Wenige Sekunden später stach der Täter dreimal zu, ein kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassener Krimineller, der meinte, sich an der liberalen Partei rächen zu müssen, unter deren Regierungszeit er verurteilt worden war.

Seit dem 14. Januar 2019 ist Polen geschockt, und am geschocktesten ist die Stadt selbst: Danzig begriff sich in den letzten beiden Jahrzehnten als Stadt der Freiheit, der liberalen Bürgerlichkeit, als Vorreiter einer Neuerfindung polnischer Identität jenseits zentralistischer Staatsvorstellungen. Diese Neudefinition ist zu einem guten Teil ein Verdienst Adamowiczs: Seit er 1998 das Amt des Oberbürgermeisters (auf Polnisch: Stadtpräsident) übernahm, eigentlich schon als Vorsitzender des Stadtparlaments seit 1994, hat er darauf hingearbeitet. Danzig hat sich in dieser Zeit tatsächlich in ungeahntem Maß verändert: Aus einer nach den Kriegszerstörungen und dem Bevölkerungsaustausch von 1945 nach wie vor zerrissenen, unfertigen Stadt, die lediglich in zwei, drei Sommermonaten auflebte, wenn Touristenströme durch die wiederaufgebauten Straßen zogen, ist ein dynamisch vibrierendes Gemeinwesen geworden, das sich in vielen Richtungen verändert hat. Der Wiederaufbau der historischen Innenstadt wurde energisch vorangetrieben, die Verkehrsinfrastruktur mit enormen Investitionen verbessert, neue Stadtteile erschlossen, vor allem aber erhielt die Stadt eine neue kulturelle Identität, versöhnte sich mit ihrer „deutschen“ Vergangenheit. Es ist Adamowicz und seinen liberalen Mitstreiterinnen und Mitstreitern zu verdanken, dass diese sozusagen multikulturelle Erzählung über die Stadt zu einer allgemein akzeptierten lokalen Erzählung geworden ist.

Adamowicz wurde als Vertreter dieser liberalen, europäischen, regionalistischen Erzählung ermordet. Polen diskutiert nun darüber, welche Rolle hierfür die dramatische Polarisierung der Gesellschaft spielt, die vor allem durch die lange marginalisierten Rechten vorangetrieben worden ist. Nachdem sie unter Führung der Partei Recht und Gerechtigkeit 2015 an die Macht gekommen sind, haben sie keine Mühen gescheut, um Polen umzukrempeln und vieles von dem, wofür das liberale Polen lange gekämpft hatte, rückgängig zu machen. Dieser Kulturkampf, maßgeblich vorangetrieben von Jarosław Kaczyński, zwingt jede Polin, jeden Polen zur Stellungnahme: Bist Du dafür, bist Du dagegen? In diesem Klima gegenseitiger Schuldzuweisungen, Beleidigungen, und angesichts der Tatsache, dass den Vertretern der Liberalen, der proeuropäischen Linken von Seiten der Regierenden oft abgesprochen wird, gleichberechtigte Mitglieder der polnischen Nation zu sein, ja als „Verräter“ gegen ein eng definiertes „nationales Interesse“ zu verstoßen, wurde Adamowicz ermordet. Insofern ist es, selbst wenn der Mörder ein psychisch gestörter Krimineller ist, auch ein politischer Mord. Polen ist erschüttert.

Paweł Adamowicz wird fehlen. Er wird auch mir fehlen. Ich habe ihn als stets für alle Vorschläge offenen, herzlichen und positiven Menschen erlebt. In vielen Gesprächen hat er immer wieder versucht, meine Skepsis über die von ihm geschaffenen Mythen und neuen Erzählungen zu zerstreuen. Ich blieb skeptisch, kann aber auch die Augen nicht davor verschließen, dass diese Mythen Danzig verändert haben: Es wurde zu einer Stadt, die Vergangenheit und Zukunft verband und aus der Geschichte Kraft für die Zukunft schöpfte. Das gelingt nicht jeder historischen Stadt. Insofern hat Paweł Adamowicz Besonderes geleistet. Seine Liebe zur Stadt Danzig ging einher mit einer großen Zuneigung zu den in ihr lebenden und aus ihr stammenden Menschen. Er, dessen Familie selbst aus Wilna vertrieben wurde, schloss selbst die deutschen Vertriebenen aus Danzig in dieses Bild seiner Stadt mit ein: Keine Selbstverständlichkeit angesichts nationalistischer Diskurse, die in Polen nie ausstarben und gegenwärtig neu aufblühen. Landesweit bekannte Lokalpolitiker mit einer ungebrochenen, unbesiegbaren, unverbiegbaren Leidenschaft, wie Adamowicz sie verkörperte, sind ein gutes Gegenmittel gegen eine oft abstrakt argumentierende und die Wirklichkeit fälschende Rhetorik der Spaltung, wie sie sich zynische, verbitterte und lediglich vom Drang nach Machterlangung und Machterhalt getriebene Politikerinnen und Politiker ausdenken.

Polen wird sich verändern. Die Ermordung von Paweł Adamowicz könnte zu einem Weckruf für alle diejenigen werden, die an ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, an ein Europa von unten glauben, an ein Europa, das nicht von griesgrämigen Misanthropen, sondern von wahren Menschenfreunden regiert und verwaltet wird. Zumindest ein wenig Hoffnung in einer traurigen Zeit.