Die Rückkehr des Zöllners

Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/42/US_Navy_061209-N-8148A-067_A_customs_border_clearance_agent_assigned_to_Navy_Customs_Battalion_Romeo_keeps_record_of_each_inspection.jpg

 

Wir dachten, Schlagbäume, Zollschranken und Handelskriege gehörten allmählich der Vergangenheit an. Und nun das: die einstigen Vorkämpfer für den Freihandel, Großbritannien und die USA machen die Schotten dicht. Erst stimmte die Mehrheit der Briten für einen Austritt aus dem gemeinsamen europäischen Markt und dann wählten die US-Amerikaner einen Trump, der China mit Strafzöllen belegen will und Freihandelsabkommen ablehnt. Europa muss sich neu positionieren.

Trump und andere Populisten haben die Rückkehr zum Protektionismus nicht erfunden. Sie reiten lediglich auf einer Welle, die von weltwirtschaftlichen Veränderungen ausgelöst worden ist und in der Bevölkerung zu einer verbreiteten Skepsis gegenüber der Globalisierung geführt hat.

Der Welthandel verliert an Dynamik

Erlebte der Welthandel in den 1990er Jahren noch einen enormen Boom, so wächst der Austausch von Gütern und Dienstleistungen seit Beginn der 2000er Jahre langsamer. Seit der internationalen Finanzkrise von 2008 hat die Dynamik nochmals nachgelassen. Eine der wesentlichen Gründe liegt in der veränderten internationalen Arbeitsteilung, was wiederum hauptsächlich auf die nachholende Industrialisierung Chinas, aber auch anderer Schwellenländer zurückzuführen ist. Kauften bis vor einigen Jahren internationale Konzerne billige Vorprodukte aus Entwicklungs- und Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien ein und ließen sie in einer globalen Wertschöpfungskette verarbeiten, so geht China nun dazu über, die heimische Fertigung über ganze Produktionsketten hinweg auszubauen. Der Anteil der von China importierten Vorprodukte an den eigenen Exporten ist seit Mitte der 1990-er Jahre bis jetzt von 60 % auf 35 % gefallen. Zugleich stellt China seine Wirtschaft auf eine stärker an Dienstleistungen und am Binnenmarkt orientierte Struktur um, wiederum mit der Folge, dass China weniger importiert als noch vor einigen Jahren.

Die internationale Arbeitsteilung verändert sich

Mit dieser Entwicklung der Schwellenländer, vor allem Chinas, geht ein Strukturwandel in Nordamerika und Europa einher: Traditionelle Industrien geraten unter Druck der billigeren Konkurrenz aus den Schwellenländern, Arbeitsplätze gehen verloren. Zusammen mit der sich weiter öffnenden Schere in der Einkommens- und Vermögensverteilung führt dies zu einem wachenden Unbehagen in der Bevölkerung vor allem in den strukturschwachen Regionen. So kommt es, dass Trump in US-Bundesstaaten wie Ohio und Michigan, Zentren des einstigen Industriegürtels besonders viele Wähler für sich gewinnen konnte. Und nicht umsonst hat Wallonien, wo einst blühende Industriereviere nun vor dem Aus stehen, das CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada zu blockieren versucht. Die Globalisierungsverlierer fühlen sich doppelt bedroht: zu einem durch das im Ausland billiger hergestellte Warenangebot und zum anderen durch die Einwanderer, die ebenfalls eine Ware billiger anbieten: ihre Arbeitskraft. Durch beides sehen sie ihren Besitzstand gefährdet, und beides wird miteinander vermengt und bekommt ein Gesicht – das Gesicht des Fremden.

Freihandel oder Protektionismus?

Nun ist der Freihandel kein Naturgesetz. Er ist auch nicht von vornherein gut oder schlecht, sondern es kommt auf die Interessen an. Der wirtschaftlich Stärkere mit der größeren Wettbewerbsfähigkeit hat selbstverständlich immer ein Interesse daran, seine Produkte barrierefrei zu exportieren. Da die Anderen ohnehin weniger wettbewerbsfähig sind, braucht er nichts zu fürchten. Nach dem 2. Weltkrieg traten die USA als Vorreiter des Freihandels auf, internationale Institutionen, wie die Welthandelsorganisation WTO bzw. dessen Vorgängerorganisationen wurden geschaffen, deren Ziel die Förderung eines möglichst freien internationalen Handels ist. Allerdings war es nicht immer so: in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen hatten die USA ebenso wie die Länder Europas hohe Zollschranken aufgebaut.

Unter Bedingungen des seit einigen Jahren langsamer wachsenden internationalen Handels bei zeitgleich nachlassender Produktivität der Weltwirtschaft wird der Wettbewerb um Märkte, Investitionsstandorte und Technologien schärfer. Die Länder greifen wieder zurück auf den Handwerkskasten des Protektionismus. Seit 2009 beobachtet die WTO weltweit einen signifikanten Anstieg protektionistischer Maßnahmen.

Wird nun Trump tatsächlich neue Zollmauern vor allem gegenüber China hochziehen? Heute, eine Woche nach den US-Präsidentschaftswahlen können wir nur Vermutungen anstellen. Sicherlich wird Trump seine Wahlkampf-Versprechen nicht zu 100 % umsetzen (das tut kein Politiker), aber selbst wenn er 30 % davon wahr macht, hat dies gravierende Folgen für die Weltwirtschaft.

Was bedeutet das Ganze nun für Europa?

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Welthandelsentwicklung, der Zunahme protektionistischer Maßnahmen und dem Politikwechsel der USA ist die Erhaltung des europäischen Binnenmarktes wichtiger denn je. Deshalb ist es ratsam, in den Austrittsverhandlungen zwischen der EU und Großbritannien eine möglichst enge wirtschaftliche Verflechtung mit der Insel zu erhalten.

Es hat keinen Sinn, sich mit Macht gegen den Strukturwandel zu stellen, und international nicht mehr wettbewerbsfähige Industrien durch Zollschranken und Subventionen künstlich am Leben zu erhalten. Natürlich muss der Strukturwandel sozial verträglich erfolgen. Für die Verlierer der Globalisierung müssen neue Perspektiven eröffnet, und da wo es nötig ist, sozialpolitische Netze aufgespannt werden. Durch die Förderung von Hochtechnologie und Innovationen kann Europa seine Wettbewerbsposition stärken. Dies setzt höhere Investitionen in Bildung, Forschung und Technologie voraus, wobei durch eine intensivere Kooperation zwischen den Mitgliedsländern Synergieeffekte gehoben werden können. Des Weiteren können durch den Ausbau des Dienstleistungssektors, vor allem auch im sozialen Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Ganz gewiss wird TTIP das Transatlantische Freihandelsabkommen unter einem Präsidenten Trump nicht zustande kommen. Darüber wie sich in den nächsten 4 Jahren die Handelsbeziehungen zwischen EU und den USA entwickeln werden, kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Sollte Trump aber tatsächlich China mit hohen Zöllen belegen, das Freihandelsabkommen NAFTA mit Mexiko und Kanada eindampfen oder das Transpazifische Freihandelsabkommen TPP mit 12 Pazifik-Anrainerstaaten (u.a. Japan, Kanada, Australien, Mexiko, Peru, Chile) zurückweisen, würden sich für Europa neue Wettbewerbschancen in diesen Märkten ergeben, die es nutzen sollte.

Die Voraussetzung ist allerdings, dass in Europa nicht weitere kleine Trumps, wie Marine Le Pen oder Gerd Wilders an die Macht kommen und die EU lahmlegen.

 

Frankfurt am Main, 15. November 2016

Nassir Djafari, Diplom-Volkswirt und Mitglied von YOUROPEAN

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