Von der Zukunft Europas und der Geschichte

Heute Morgen fragte mich meine Frau nach Antworten auf die dringenden Fragen Europas. Ich war gerade beim Zähne putzen und guckte plötzlich in ein immer blöder werdendes Spiegelbild. Denn die Fragen fangen tatsächlich an zu brennen.
Europakarte: Hauptstädte
Quelle: Die europäischen Hauptstädte, aus: http://bit.ly/2chhLu5 Stand: 07.06.2016.

Zwar suchen unsere Kanzlerin und viele andere europäische Politiker im Moment nach Lösungen in Europa und nehmen eine Menge Mühen auf sich, doch sind die Ausgangslagen in allen Staaten zu unterschiedlich. Und dementsprechend verschieden sind die jeweiligen Interessen. Das ist einfach zu erklären und legitim. Zugleich gibt es aber auch Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Dabei kann man einmal mehr aus der Geschichte zu lernen.

Ein Zauberwort für Ökonomen sollte der Länderfinanzausgleich sein, der in Deutschland seit 1949 mehr oder minder gut funktioniert und verhindert hat, dass die Lebensbedingungen der Menschen in diesem Staat zu weit auseinanderdriften. Gerade nach 1990 wäre der nachhaltige Erfolg der deutschen Vereinigung ohne dieses Instrument undenkbar gewesen. Die nachholende Entwicklung strukturschwacher Regionen hat maßgeblich zur Wirtschaftskraft Deutschlands beigetragen. Nun stellt uns das 21. Jahrhundert vor neue Herausforderungen. Deutschland wird es allein in der Weltwirtschaft schwer haben, sich im Wettbewerb zu behaupten. Europa wiederum in seiner Gesamtheit (auch ohne England) ist die größte Ökonomie der Welt. Die EU ist in der Lage, mit jeder anderen Ökonomie der Welt in den Wettbewerb zu treten, wir sind effizient und innovativ. Dies setzt aber voraus, dass sich Bildungsniveau, Forschung und Entwicklung, Infrastruktur und Lebensstandard innerhalb Europas nicht zu weit auseinander entwickeln. Die wohlhabenden Kernländer des „alten Europa“ dürfen Südeuropa und die neu hinzugekommenen Mitglieder im Osten des Kontinents wirtschaftlich nicht abhängen, sonst fährt irgendwann die Lokomotive ohne seine Waggons weiter.

Ein Länderfinanzausgleich ist also aus meiner Sicht für den langfristigen Erhalt unserer EU ein unverzichtbares Instrument der wirtschaftlichen Besserstellung im weltweiten Wettbewerb. Dies bedeutet aber auch, dass wir europaweit einige politische Ressorts an eine stärkere zentrale Regierung übergeben müssen: Wirtschaft für die gemeinsame Koordination, Finanzen für ein harmonisiertes europäisches Steuersystem und die durchschlagende Eintreibung der Steuergelder, eine gemeinsame Außenpolitik, zur Sicherung unserer gesamteuropäischeren Interessen.

Das hört sich ziemlich utopisch an, doch haben wir in Deutschland für das Zusammenwachsen kleinerer unabhängiger Staaten in ein größeres, wettbewerbsfähiges Gebilde eine Blaupause. Den Deutschen Bund des 19. Jhdt. Damals hatten die Menschen erkannt, dass die Kleinstaaterei wirklich nicht vom Erfolg gekrönt ist. Deshalb haben sich die einzelnen Kleinstaaten Deutschlands unter der Führung Preußens zusammengefunden und daraus hat sich später das Deutsche Reich entwickelt. Zwar verlief dieser Zusammenschluss wahrlich nicht ohne Rückschläge und Konflikte, dennoch schuf er die Voraussetzung für große Fortschritte. Aus dem rückständigen Deutschland wurde ein wirtschaftlicher und technologischer Weltmarktführer, der dann leider der Großmannssucht und einem widerlichen National-Chauvinismus zum Opfer fiel.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/ce/Deutscher_Bund_1.png
Quelle: http://bit.ly/2bSOgcv; Stand: 07.09.2016.

Doch das ändert nichts daran, dass das Beispiel und die „Blaupause“ stimmen: Europa wird, weil es die globale Entwicklung so braucht, zusammengehen. Mit oder ohne Brexit. Mit mehr oder weniger Reibungen und Umwegen.

Das bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland, dass wir ein sanfter, verständnisvoller Treiber des europäischen Staatengebildes werden müssen, der, wie so häufig in der Kohl-Ära, eigene Interessen gegenüber den europäischen Interessen hintan stellen muss. Unsere Nachbarn, unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Zukunft, unser Wohlstand werden uns das danken.

Lange habe ich die Zähne nicht mehr so intensiv geputzt. Und die anschließende Diskussion mit meiner Frau war spannend und ich konnte mich  – nun ohne Zahnbürste im Mund auch recht gut verständlich machen.

Frankfurt am Main, 07. September 2016

Bodo Bimboese, Kommunikationsberater und Mitbegründer von YOUROPEAN

Der Inhalt des Beitrags liegt in der Verantwortung des Verfassers und gibt ausschließlich  die Meinungen, Ansichten und Einschätzungen von diesem wieder .

 

No Comments

Leave a Reply